KTM-Freeride Enduro-Wandern auf La Palma
Eine Fahrt durch die Einsamkeit (Reisebericht)KTM-Freeride Enduro-Wandern auf La Palma
Norddeutschland enttäuscht uns nicht und sorgt wieder einmal für schlechtes Wetter. Obwohl erst September ist, zeigt sich der Himmel grau. Auf unserer Liste der noch zu besuchenden Ziele rückt nun La Palma an erste Stelle. Das freundliche Reisebüro bucht gleich alles durch und bevor wir bis drei zählen können, sitzen wir im Flieger und fliegen der Sonne entgegen. Meine Frau will sich am Strand erholen und ich mal ein bisschen Abenteuer erleben. Meine letzten Enduro Kurse in Schleswig Holstein sind noch frisch und so wähle ich mir beim örtlichen Motorrad Vermieter Aventura Verde die KTM 350 Freeride aus. Während meine Frau das Wellenrauschen des tiefblauen Atlantik genießt, sitze ich auf der KTM und mache mich in Richtung Norden auf. Ich will Ruhe und ich will ein bißchen Abenteuer. Nichts Großes aber eben mal weg von all den Gedanken an Deutschland, den Job, den Stress, nicht immer gleich Verbote und schimpfende Mitmenschen. So habe ich mir die Route zum Pico de la Nieve am Rande der Caldera ausgesucht und starte in der Hauptstadt Santa Cruz de La Palma auf der LP1 Richtung Norden und biege in Höhe von Puntallana, links auf die Calle el Tributo ab. Erst noch ein wenig Asphalt, dann Sand und Schotterpiste. Mit zunehmender Höhe wird die Vegetation grüner und dichter. Ich werde ständig genötigt anzuhalten, weil ich Fotos dieser traumhaften Landschaft machen will. Tenerife scheint zum greifen nahe, die Kamera fokussiert den Teide und hinter mir knistert ganz verhalten die Freeride. Nicht, dass man hier zum rasen gekommen wäre, ganz im Gegenteil, Enduro Wandern ist die richtige Definition. Das knistern ist nur deshalb zu hören, weil kein Laut die Stille zerreißt. Nur hier und da die hohen Rufe der Falken, sonst nur Stille und Einsamkeit, genau das wollte ich. Fahren, wo keiner fährt, sein, wo keiner ist und um mich rum nur Natur. Hier auf La Palma scheint das noch zu gehen, hier scheint alles weit weg zu sein und die Menschen kommen mir hier wirklich ruhender vor. Ich verabschiede mich von meinem Starren in die Ferne, von meinen Gedanken aus der Einsamkeit und starte die KTM zu einer weiteren Etappe. Der Pico de la Nieve ist noch weit und ich will fahren, nur fahren. Die Farben der Wege wechseln von erdfarben bis zu tiefem Rot, von weich bis fast steinhart. Die Federung der KTM scheint das nicht im Geringsten zu beeindrucken. Das mag auch der Grund gewesen sein, warum ich erst nach vielen Kilometern, oben beim Einbiegen auf die LP4 bemerkt habe, dass sämtliche Utensilien aus der keinen Hecktasche auf den letzten Kilometern verstreut sein müssen. Beim Stopp an der LP4 habe ich wie so oft nach kleinen Etappen nach hinten geschaut, ob alles noch in Ordnung ist. Diesmal durchfährt mich ein Strom, der meinen Puls in die Höhe katapultiert und meine Halsschlagader Finger dick anschwellen lässt. Tasche offen, alles weg! Schlüssel vom Apartment, Brieftasche, Handy und Sonnenbrille. Ich rolle die ganze Strecke zurück und hoffe, dass die Utensilien nicht im hohen Bogen in der Landschaft verstreut sind. Ich rolle mit der Freeride die Strecke zurück und scanne den Boden von links nach rechts. Hochkonzentriert kommen mir dennoch die Gedanken, das ich alles wieder finden werde. Ich habe in die letzten Stunden meiner Einsamkeit keine Menschenseele getroffen, habe keine Anzeichen von Zivilisation gesehen, warum sollten meine Sachen nicht wieder aufzufinden sein. Im Rollen zeigt sich erst, welche Entfernung ich zurück gelegt habe. Mir kommen konditionierte Gedanken in den Sinn, wie benachrichtige ich meine Frau, wie spät ist es und was ist, wenn jemand meine Kreditkarten findet, mein Portemonnaie? Kein Handy, kein Kontakt zur Außenwelt. Aber wollte ich nicht gerade das, ein Abenteuer? Mit zunehmender Wegstrecke kommen auch meine positiven Geister zu mir zurück und die sagen mir, wer soll hier her kommen, wer soll hier deine Kreditkarten aufheben, und wer soll deinen Schlüssel gebrauchen können. Ich rolle weiter. Kopfschmerzen machen sich breit, weil die Konzentration auf den Weg einem Laser gleicht. Nach zwei Kilometern in etwa, ein Hoffnungschimmer, die Brille liegt auf dem Weg. Nicht das, was ich jetzt wirklich am wichtigsten bräuchte, aber ein Hinweis, dass die Dinge doch nicht im hohen Bogen von der Federung der KTM ins Abseits geschossen wurden. Zuversicht breitet sich aus. Hier, in diese Einsamkeit kommt niemand, wirklich niemand, der sie nicht wirklich sucht. Wenige hundert Meter später der erste wichtige Fund, mein Handy! Zumindest weiss ich nun, wie spät es ist und ob meine Frau bereits besorgt im Dreieck springt. Handyempfang, Fehlanzeige! Weiter. Die Zuversicht hat die Oberhand gewonnen und so rolle ich die ganze Strecke ohne Motorkraft wieder zurück. Sozusagen, um die Eindrücke noch einmal zu festigen, die ich bei der Auffahrt gewonnen habe. Stille, nichts als Stille, nur das knacken überfahrener Äste. Mein Schreck ist verflogen, Ruhe macht sich breit. Keine Sorgen mehr um die Karten, um den Schlüssel, alles lässt sich regeln. Und wieder viele hundert Meter weiter liegt der Schlüssel auf dem Weg. Wie gut, dass Apartmentschlüssel immer diese unbequemen Anhänger haben. Ich finde sie jetzt toll!! Eine Logik lässt sich aus den Fundorten nicht ableiten. Ich suche ganz besonders aufmerksam an Stellen, die besonders uneben sind. Aber das scheint egal. Bestärkt, dass ich alles finden werde und ich auch noch einen anderen Tag zum Nieve fahren kann, rolle ich weiter Berg abwärts, um meine Brieftasche zu finden. Ich habe mir eine festen Punkt zurecht gelegt, an den ich eine Erinnerung habe. Der Punkt, wo der Teide mich genötigt hat ihn zu fotografieren, dieser selbstherrliche Berg, wo nur die Falken und die Freeride zu hören waren. Aber nun macht sich doch wieder eine gewisse Enttäuschung breit, weil weit und breit nichts von meiner Brieftasche zu sehen ist. Karten, Ausweis, Führerschein, einfach alles, was man in unserem zivilisierten Leben braucht, um seine Lebensberechtigung zu dokumentieren. Urvölker sind einfach da, die brauchen diesen ganzen Mist nicht. Aber nun träume ich mich doch etwas zu weit weg von dieser Welt. Einsamkeit wollte ich haben, Einsamkeit habe ich gefunden. Nur meine Brieftasche noch nicht. Wie soll ich nach Hause fliegen, wie durch die Kontrollen kommen. Meine Frau wird bereits hektische Flecken im Gesicht haben und mich fragen, wo ich die ganze Zeit war? Ich war bei mir. Trotz des kleinen Missgeschickes. Da auch die Papiere der KTM Freeride mit verlustig gegangen sind, informiere ich die Vermietstation. Olaf, der Betreiber, beruhigt mich und bietet mir an, die Strecke am nächsten Tag mit mir abzugehen. Vier Augen sehen mehr als zwei und so verabreden wir uns gleich vormittags und fahren zusammen an die Weggabelung der LP4, parken das Auto und machen uns mitsamt seinem Vierbeiner auf den Weg. Nach gut zwei Stunden entdecken wir meine Brieftasche und auch die Papiere der KTM. Alles wieder da, alles wieder komplett, und mein Seelenfrieden wieder zu einhundert Prozent hergestellt. Auf dem Weg hatten wir viel Zeit um über Motorräder und das Leben auf La Palma zu lamentieren. Meine Brieftasche wäre irgendwann gefunden worden. Und sofern sie ein Palmero gefunden hätte, er hätte sie mir wieder zukommen lassen, komplett, unversehrt und ohne Zögern, da ist sich mein Vermieter sicher.
Wie gut die KTM Freeride für dieses Enduro Wandern präpariert wurde, kam auf dem langen Weg zurück zum Auto auch noch zur Sprache. Die Kernidee dieser Motorradgattung ist eben Natur verträgliches Wandern, ohne Lärm und ohne die Wege zu sehr zu belasten. Eine Idee, die sich durchsetzen sollte. Meine Eindrücke dieses kleinen Abenteuers hallen noch lange nach, auch wenn ich längst wieder in Norddeutschland bin und mich schon wieder danach sehne, den Pico de la Nieve doch noch zu erreichen. Vielleicht im nächsten Jahr ein neues Aventura Verde!
Marno Fölsch, Schleswig-Holstein